Der deutsche Industriestrompreis ist nach intensiven Verhandlungen auf europäischer Ebene wieder in greifbarer Nähe. Doch der von der EU-Kommission gesetzte Rahmen ist eng und wirft entscheidende Fragen auf. In einem von energate veranstalteten Talk diskutierten Experten aus Industrie, Handel, Recht und Wirtschaftsverbänden über die Chancen, Risiken und notwendigen strukturellen Reformen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Mit dabei waren:
Dr. Niclas Wenz - Referatsleiter Strommarkt und erneuerbare Energien, Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK)
Sandra Talhof - Partnerin und Rechtsanwältin für Energierecht, Ziska & Talhof Rechtsanwälte
Anne Köhler - Geschäftsführerin, Energy Traders Deutschland
Jan Christoph Schaffrath - Geschäftsführer Energie- und Klimapolitik (DIE PAPIERINDUSTRIE)
Elias Küpper - Gründer & CEO, RIZM
Moderation:
Christian Seelos, energate
Rouben Bathke, energate
Einigkeit herrschte im Panel darüber, dass der nun mögliche Industriestrompreis weit von der ursprünglichen Idee eines allumfassenden Preises von 4 bis 6 Cent pro Kilowattstunde entfernt ist. Der neue EU-Beihilferahmen (CISAF) sieht strenge Konditionalitäten vor: Die Beihilfe ist auf maximal 50 % des Stromverbrauchs begrenzt, der Preis darf auf nicht weniger als 50 Euro pro Megawattstunde subventioniert werden und 50 % der erhaltenen Beihilfe müssen reinvestiert werden.
Dies führt zu einer deutlich geringeren Entlastung als aus der Industrie erhofft. Zudem ist der Kreis der potenziellen Empfänger stark eingeschränkt. Vor allem die besonders energieintensiven Branchen, die bereits von der Strompreiskompensation profitieren, werden voraussichtlich nicht zusätzlich begünstigt. Das Instrument zielt somit auf eine spezifische Gruppe von Unternehmen ab, die zwar energieintensiv sind, aber nicht zur obersten Kategorie gehören. Für den breiten Mittelstand und viele Kernindustrien bleibt der Industriestrompreis damit unerreichbar.
Ein zentraler Kritikpunkt der Diskussion waren die potenziellen negativen Auswirkungen auf den Strommarkt. Energiehändler warnten, dass ein staatlich subventionierter Preis den Anreiz für Unternehmen verringert, sich selbst am Markt über Termingeschäfte oder Strompartnerschaften (PPAs) abzusichern. Dies würde die Liquidität an den Handelsmärkten reduzieren und die Transaktionskosten für alle anderen Akteure erhöhen.
Darüber hinaus wurde die Kurzfristigkeit der Maßnahme als Risiko identifiziert. Ein bis 2030 befristeter "Brückenstrompreis" könnte zu einem Bremsklotz für dringend notwendige, langfristige Investitionen in Flexibilität und Dekarbonisierung werden. Wenn Unternehmen sich auf die Subvention verlassen, statt ihre Prozesse an die neue, volatile Energiewelt anzupassen, droht nach Auslaufen der Hilfe ein böses Erwachen. Die Subvention muss daher intelligent ausgestaltet sein, um zielgerichtet den Wandel zu unterstützen und nicht kontraproduktive Anreize zu schaffen, die den Weg in die Zukunft verbauen.
Die Experten waren sich einig, dass der Industriestrompreis bestenfalls eine Brücke sein kann. Entscheidend ist, was am anderen Ende dieser Brücke wartet. Statt isolierter Subventionen erfordert eine nachhaltige Lösung tiefgreifende strukturelle Reformen. Die wichtigsten Ansatzpunkte waren:
Angebot gezielt ausweiten: Es muss mehr Erzeugerleistung ausgebaut werden, um die Perioden von niedrigen Strompreisen auszuweiten und Preisspitzen zu reduzieren. Dabei hilft sowohl der Ausbau der erneuerbaren Energien, als auch die Nutzung vorhandener BHKWs der Industrie.
Systemkosten senken: Eine spürbare Entlastung für die gesamte Wirtschaft könnte durch die Senkung von staatlich induzierten Preisbestandteilen wie Steuern, Abgaben und Umlagen erreicht werden.
Marktmechanismen stärken: Anstatt in den Markt einzugreifen, sollte die Politik das Vertrauen in Preissignale stärken und Rahmenbedingungen für marktwirtschaftliche Instrumente wie PPAs verbessern.
Netzentgelte modernisieren: Das aktuelle System der Netzentgelte setzt oft falsche Anreize. Es wurde gefordert, die Logik umzukehren: Anstatt inflexibles Verhalten zu belohnen, muss ein modernes System Flexibilität fördern. Unternehmen, die ihren Verbrauch an die Netzsituation anpassen und so das System stabilisieren, sollten davon profitieren, anstatt bestraft zu werden.
Der Industriestrompreis in seiner jetzigen Form ist ein spitzes Instrument mit begrenzter Wirkung und erheblichen Risiken für die Markteffizienz. Die Diskussion machte deutlich, dass der Fokus nicht allein auf Subventionen liegen darf. Der Schlüssel zu wettbewerbsfähigen Energiepreisen und einem starken Industriestandort liegt in einem Bündel aus mutigen strukturellen Reformen, die das Stromangebot erhöhen, die Kostenbasis senken und vor allem die Flexibilität im Energiesystem intelligent fördern und belohnen.
Zu dem energate-talk gibt es auch einen Artikel im energate-messenger.